Die Ankündigung von Verkehrskommissar Siim Kallas, wonach die Pkw-Mautpläne der CSU womöglich doch kompatibel mit EU-Recht seien, sorgen für Aufregung und widersprüchliche Interpretationen. Befürworter und Gegner sehen sich gleichermaßen bestätigt. Nächste Woche dürfte das Thema für zusätzlichen Zündstoff bei den Koalitionsverhandlungen sorgen.
Unerwartete Wende bei der umstrittenen Pkw-Maut: Laut EU-Verkehrskommissar Siim Kallas dürfe die Bundesrepublik sehr wohl ausländische Fahrer auf deutschen Autobahnen zur Kasse bitten. Demnach sei es grundsätzlich möglich, von allen – also nicht nur den ausländischen – Autofahrern eine Maut zu verlangen und anschließend die deutschen Autofahrer bei der Kfz-Steuer wieder zu entlasten. Eine Senkung der Abgabe "bei gleichzeitiger Erhebung angemessener Nutzungsgebühren für alle Nutzer" stelle "keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar", zitiert die Süddeutsche Zeitung Kallas.
Bisher galt dies als kaum mit EU-Recht vereinbar, da es Ausländer indirekt diskriminieren könnte. Kallas betonte allerdings, dass eine Maut "in einem angemessenen Verhältnis zur Nutzung der Infrastruktur stehen" solle. Dies heiße: Eine einheitliche Gebühr für alle, egal ob Wenig- oder Vielfahrer, sähe die Kommission offenbar nicht gern. Der grüne EU-Abgeordnete und Verkehrsexperten Michael Cramer sieht darin ein "klares Warnsignal in Richtung Berlin": Ausländer, die nur wenige Kilometer auf deutschen Straßen unterwegs seien, dürften nicht genauso stark zur Kasse gebeten werden wie Vielfahrer, zitierte die Zeitung Cramer.
Laut dem CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber lässt sich diese Klippe leicht umschiffen: "Ich kann mir eine Lösung vorstellen, die eine zeitliche Staffelung der Maut vorsieht. Wer aus Dänemark oder Holland auf dem Weg in den Skiurlaub deutsche Autobahnen nutzt, muss keine Jahresvignette lösen müssen."
Streit wird Koalitionsverhandlungen belasten
Die Einführung einer Pkw-Maut ist einer der Knackpunkte bei den Koalitionsgesprächen zwischen Union und SPD. Am Mittwochmittag (6. November) trifft sich die zuständige Arbeitsgruppe unter Leitung von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zur ihrer zweiten Sitzung. Die CSU pocht auf die Pkw-Maut, die SPD lehnte sie im Wahlkampf ab. "Wir bleiben skeptisch, ob das der richtige Weg ist", sagte SPD-Vizefraktionschef Hubertus Heil am Mittwoch (30. Oktober). Auch der SPD-Europaabgeordnete Ismail Ertug ist nicht überzeugt: "Herr Kallas bewegt sich auf dünnem Eis. Es gibt namhafte Juristen, […] die die rechtliche Lage komplett anders bewerten. […] Die von [der CSU] geforderte Maut nur für Ausländer wird es nicht geben."
Die CSU sieht sich durch das Signal aus Brüssel dagegen bestärkt: "Eine angemessene Beteiligung der ausländischen Nutzer deutscher Autobahnen ist möglich. Kritiker dieser Pläne können sich nun nicht mehr hinter dem Argument Europarecht verstecken. Der jahrelange Dialog der CSU mit Verkehrskommissar Kallas hat sich gelohnt", so Ferber.
"Nun müssen zügig die Detailarbeiten für eine Pkw-Maut in Deutschland beginnen. Fast überall in der EU müssen deutsche Autofahrer erhebliche Gebühren für die Nutzung der Autobahnen entrichten. Da ist es nur fair, wenn die Nutzung der deutschen Autobahnen durch ausländische Pkw nicht gratis bleibt. Für inländische Nutzer muss eine Aufkommensneutralität über die Reduzierung der Kfz-Steuer erreicht werden, fordert Ferber. "Wir wollen keine zusätzlichen Belastungen für die deutschen Autofahrer."
SPD-Experte: Maut bringe nichts und sei unsozial
In Kreisen des Verkehrsministeriums wird damit gerechnet, dass die Pkw-Maut für Ausländer bis zu 800 Millionen Euro im Jahr bringen könnte. SPD-Verkehrsexperte Ertug bleibt dennoch skeptisch: "Kompensiert man die Mautkosten für Inländer über die Kfz-Steuer, bleiben nur die fünf Prozent ausländische Pkw-Fahrer als Zahler übrig. Deren Mautgebühren reichen laut einer Studie des ADAC nicht einmal für die Deckung der Verwaltungskosten."
Auch soziale Gründe sprechen laut Ertug gegen eine mögliche Abrechnung über die Kfz-Steuer. Denn sie "käme vor allem den Fahrern großer hubraumstarker Schlitten entgegen". Viele Besitzer von Klein- oder Mittelklassewagen, die heute wenig Kfz-Steuer zahlen, müssten dagegen mit höheren Belastungen rechnen. Völlig ungeklärt sei auch, so Ertug, was mit Elektroautos geschehe, die komplett von der Kfz-Steuer befreit sind.
Grüne: "Grobe Wählertäuschung"
Unterdessen haben Kallas Äußerungen einen regelrechten Medienrummel ausgelöst. Michael Cramer sowie der grüne Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter, stellen, um Missverständnisse vorzubäugen, klar: "Die EU-Kommission hat nochmals bekräftigt: Sie gibt keinesfalls grünes Licht für eine PKW-Maut, die Ausländer einseitig belastet. […] Vielmehr ist nur die Einführung einer Maut für alle zulässig. Diese muss nutzungsabhängig – also auf Grundlage der gefahrenen Kilometer – erhoben werden." Das Vignetten-Modell der CSU sei nach Auffassung der Kommission mit EU-Recht nach wie vor nicht vereinbar und somit illegal. "Es wäre daher grobe Wählertäuschung, wenn es Eingang in den Koalitionsvertrag fände," mahnen die beiden grünen Politiker.
Auch die EU-Kommission bemüht sich inzwischen um Schadensbegrenzung. In einer Pressemitteilung vom Mittwochnachmittag heißt es: "Eine Pkw-Maut darf nicht einfach mit der Kfz-Steuer verrechnet werden. Maut und Kfz-Steuer sind zwei verschiedene Dinge. Führt ein Mitgliedsstaat ein Mautsystem ein, müssten Inländer und Ausländer eine Vignette kaufen, wenn sie die mautpflichtige Infrastruktur benutzen wollen, und zwar zu den gleichen transparenten und fairen Bedingungen: gleicher Preis, gleiche Bezahlmethode. Deutsche Behörden dürften also nicht deutschen Staatsbürgern eine Vignette mit dem Kfz-Steuerbescheid ohne weitere Kosten zustellen, während gebietsfremde Fahrer eine Vignette kaufen müssten."
EURACTIV/rtr/pat
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EURACTIV.de: Tritt Bayern aus der EU aus? (12. August 2013)