Den Polen ist eine starke NATO lieber als eine so genannte EU-Armee. In Österreich gibt es dagegen Bedenken aufgrund der schon sechs Jahrzehnte alten Verpflichtung zur so genannten Neutralität.
Österreichs Neutralität ist 60 Jahre alt. Am 15. Mai 1955 unterzeichneten die politischen Spitzen den Staatsvertrag, am 26. Oktober verpflichtete sich das damals wieder freie und unabhängige Österreich per Parlamentsbeschluss zur so genannten immerwährenden Neutralität.
Wäre die Regierung in Wien nicht gerade mit der Hypo-Bank-Affäre und dem letzten Ringen um eine Steuerreform beschäftigt, hätte die von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ventilierte Idee einer „EU-Armee“ zu einem innenpolitischen Disput geführt. Denn die so genannte Neutralität gehört gewissermaßen zu den profanen Heiligtümern der Alpenrepublik. Dementsprechend war es nicht ganz überraschend, dass die sozialdemokratische SPÖ, allen voran Verteidigungsminister Gerald Klug, der Juncker-Idee eine Abfuhr erteilte.
Querfeldein gibt es allerdings sehr wohl etliche Sympathisanten. Selbstredend unter den Militärs, Unterstützung kommt aber auch von der ÖVP. Die Neutralität war ohne Zweifel dafür ausschlaggebend, dass es dem damaligen legendären Regierungsgespann von Bundeskanzler Julius Raab und Außenminister Leopold Figl gelang, mitten im Kalten Krieg von der sowjetischen Führung die Erlaubnis zu erhalten, in die völlige Freiheit und Unabhängigkeit entlassen zu werden. Die Neutralität erlaubte es Österreich auch, im Herzen Europas an der Nahtstelle zwischen der freien westlichen Welt und der kommunistischen Diktatur eine Sonderstellung einzunehmen. Und sie trug nicht unwesentlich zur Stärkung des österreichischen Nationalbewusstseins bei.
Die politische Führung des Landes verstand es, sich in Krisenzeiten aus militärischen Auseinandersetzungen herauszuhalten, was aber nicht bedeutete, dass man sich nicht neutral, sprich teilnahmslos verhielt, wenn es darum ging massiv für die Einhaltung der Menschenrechte und des Völkerrechtes zu kämpfen. Das zeigte sich 1956 beim Ungarn-Aufstand, ebenso wie 1968 bei der Niederschlagung des Prager Frühlings als Österreich erste Anlaufstelle der Flüchtlinge war.Und erst recht während der Zeit der jugoslawischen Bürgerkriegs von 1991 bis 1995, wo die Regierung in Wien, vornehmlich deren Außenminister Alois Mock, für die Unabhängigkeit der Balkanstaaten Partei ergriff.
Rot-Grüne Skepsis gegen Junckers Armeepläne
Delikat wurde die Causa „Neutralität“ im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen. Gab es doch lange Zeit aus Moskau immer wieder ein „Njet“ zu hören, wenn man in Wien laut darüber nachdachte, sich enger mit Brüssel einzulassen. Bis eben 1989 der Eiserne Vorhang und die Berliner Mauer fielen, der KP-Ostblock in sich zusammengebrochen war. Das Kapitel Neutralität spielte dann auch, wie die Teilnehmer der politischen Gespräche wissen, bei den Verhandlungen über den EU-Beitritt eine ziemlich untergeordnete Rolle.
Die EU hatte zur Kenntnis genommen, dass es einen Sonderstatus für Österreich gibt, wusste aber gleichzeitig, dass die Regierung in Wien ein verlässlicher politischer Bündnispartner ist. Und in den letzten 20 Jahren der Mitgliedschaft ist dieses Thema auch immer mehr aus dem Blickwinkel geraten. Nicht zuletzt, weil auch die Ansicht immer mehr Anhänger gewann, dass Brüssel an einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht vorbei kommt. Umso mehr überraschte dann Verteidigungsminister Klug, der sofort die Juncker-Idee als für Österreich nicht in Frage kommend kommentierte: „Eine Teilnahme an einer Europa-Armee ist nicht vertretbar, mit unserer Neutralität nicht vereinbar, das ist keine Option.“ Und er fügte noch hinzu, dass auch sein Parteivorsitzender und Bundeskanzler Werner Faymann seine Meinung teilen würde.
Das alles publizierte die größte Boulevardzeitung des Landes, die sich im Wissen, dass dies auch die mehrheitliche Meinung ihrer Leserschaft ist, wieder einmal als Hüter der Neutralität aufspielen wollte. Das öffentliche Echo war gering. Man hat eben gerade andere Sorgen. Mehr noch, die Reaktionen zeigen, dass Klug nicht gerade klug mit seiner vorschnellen Äußerung handelte. So etwa raffte sich sein Parteikollege, der SPÖ-Delegationsleiter im europäischen Parlament, Jörg Leichtfried, bloß dazu auf, die Idee Junckers als verfrüht zu bezeichnen. Von der grünen EU-Delegationsleiterin Ulrike Lunacek wurde im üblichen Polit-Stil hinausposaunt, dass es sich nur um ein Ablenkungsmanöver Junckers von den Lux-Leaks-Problemen handle.
ÖVP: EU-Armee könnte 130 Milliarden Euro einsparen
Die ÖVP ließ durch den EU-Delegationsleiter Othmar Karas den Juncker-Vorschlag ausdrücklich begrüßen. Mehr außenpolitisches Engagement der EU heiße konsequenterweise auch gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es sei daher gut, wenn sich in Österreich Nationalrat und Regierung für eine verstärkte Vergemeinschaftung der Außen- und Sicherheitspolitik einsetzen, weil es in letzter Konsequenz zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik kommen müsse. Außerdem könnte eine Koordinierung der bestehenden Verteidigungspolitiken der EU-Staaten ein Einsparpotenzial von 130 Milliarden Euro sowie eine Effizienzsteigerung bringen.
Was übrigens eine gar nicht so unerhebliche positive Auswirkung auf das dürftige österreichische Verteidigungsbudget hätte. Hier argwöhnen Militärexperten ohnehin schon seit langem, dass die SPÖ das von ihr wenig geliebte Bundesheer zugrunde sparen und am liebsten zu einer Hauptabteilung im Innen- und damit Polizei-Ministerium degradieren möchte.
Hochrangige Offiziere sind auch der Meinung, dass sich Österreich den EU-Armee-Plänen auf Sichtweite „gar nicht verweigern kann, ja eine tatsächliche Integration sehr kreativ und sinnvoll wäre.“ Letzten Endes habe man auch der Entwicklung der letzten 60 Jahre Rechnung zu tragen – sei das, was man unter einem neutralen Status versteht, heute ernsthaft zu hinterfragen. Damals war Österreich quasi ein Pufferstaat zwischen Ost und West, heute ist es Teil eines gemeinsamen Europas.