Demokratie vs. Europäische Integration? Zum Stopp der Bürgerinitiative gegen TTIP

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Die Initiative "Stop TTIP" kann nicht als Europäische Bürgerinitiative registriert werden. Einen entsprechenden Antrag hat die EU-Kommission nach einer rechtlichen Prüfung abgelehnt. Foto: World Development Movement (CC BY 2.0)

Die EU-Kommission hat entschieden, die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA nicht zuzulassen. Politisch ist die formalistische Blockade der Bürgerbeteiligung ein Desaster. Auch juristisch ist die Argumentation mehr als dünn. Ein Kommentar von Steffen Stierle (Attac Deutschland).

Dass es um die demokratische Legitimation der EU nicht besonders gut bestellt ist, ist nichts Neues. Wichtige Institutionen wie die EZB und die Troika agieren ohne jegliche parlamentarische Kontrolle, die mächtige Kommission wird ernannt, nicht gewählt, und das Europäische Parlament ist eigentlich gar kein richtiges Parlament, weil es über entscheidende  parlamentarische Rechte, wie das Initiativrecht bei der Gesetzgebung, nicht verfügt.

Trotz dessen muss man anerkennen, dass es in den Jahren vor der Krise einige Fortschritte gab. Der Lissabon-Vertrag hat das Europäische Parlament gestärkt, wenn auch auf niedrigem Niveau. Und mit der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) wurde erstmals ein, wenn auch schwaches, Element direkter Demokratie auf EU-Ebene eingeführt. Schwach vor allem, weil eine erfolgreiche Bürgerinitiative nur Empfehlungen aussprechen, nicht aber die EU-Institutionen verpflichten kann. Dennoch hätten diese Schritte ein guter Anfang sein können – ein Anfang der längst überfällig war. Schließlich verlagern die Mitgliedsstaaten vor allem seit den 1980/1990er Jahren in erheblichem Umfang politische Kompetenzen auf die EU-Ebene. Solange diese nicht weiter demokratisiert wird, bedeutet jede dieser Kompetenzverlagerungen effektiven Demokratieabbau. Eine konsequente Demokratisierung aller Entscheidungsebenen der EU und starke direktdemokratische Instrumente sind das absolut zentrale Element einer Legitimation des weiteren Integrationsprozesses.

In den letzten Jahren wurde es jedoch versäumt, an dem vermeintlich guten Anfang anzuknüpfen und die europäische Demokratie weiter auszubauen. Im Gegenteil, mit der EU-Krisenpolitik ging ein weitreichender Rückbau der Demokratie einher. Fiskalpakt und ESM wurden als völkerrechtliche Verträge neben Europäischem Recht, und damit ohne Beteiligung des Parlamentes, beschlossen; mit den Troika-Programmen hat die EU tief in die Wirtschafts- und Sozialpolitik einiger Mitgliedsstaaten eingegriffen, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein; zentrale Elemente der Bankenunion wurden faktisch von Lobbyisten aus der Finanzwelt erarbeitet. Zuletzt hat der Europäische Rat wider dem Willen der Bevölkerungsmehrheit in den Mitgliedsstaaten eine neue Aufrüstung- und Militarisierungwelle vereinbart. Dies sind nur einige Beispiele für den gegenwärtigen anti-demokratischen Charakter der EU-Politik.

Nun hat die Kommission auch noch deutlich gemacht, dass selbst die unverbindlichen Bürgerinitiativen nur dann zugelassen werden, wenn sie die wirtschaftspolitischen Geschicke der Brüsseler Bürokratie nicht stören. Anders lässt sich die Verweigerung der Registrierung der „Stopp-TTIP“-EBI nicht interpretieren. Die angeführten „Argumente“ sind absurd. So seien zwei formale Voraussetzungen nicht erfüllt. Zum einen dürften Bürgerinitiativen nur positive Forderungen enthalten, keine negativen – also nur die Kommission bejubeln, nicht aber ihre Vorhaben zu stoppen versuchen. Zum zweiten müsse sich eine EBI auf einen Rechtsakt beziehen. Das TTIP-Verhandlungsmandat sei aber kein Rechtsakt, sondern eine Vereinbarung zwischen EU-Organen.

Politisch ist diese formalistische Blockade der Bürgerbeteiligung ein Desaster. Die EBI wird von 230 Organisationen aus 21 EU-Staaten getragen. Allein in Deutschland wurden schon früher 700.000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt. Um die EBI zum Erfolg zu führen bräuchte es nun 1.000.000 Unterschriften in der gesamten EU. Der Erfolg wäre so gut wie sicher gewesen. Die Kommission zielt ganz offensichtlich darauf ab, Bürgerbeteiligung auszuschließen und so TTIP gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen. Vor die viel erwähnten verschlossenen Türen, hinter denen TTIP verhandelt wird, soll nun noch ein ganz dickes Schloss gehängt werden.

Auch juristisch ist die Argumentation mehr als dünn. Das belegt u.a. ein Rechtsgutachten, das vom EBI-Bündnis im Vorfeld in Auftrag gegeben wurde. Ob die Nicht-Registrierung der EBI juristisch Bestand hat, ist allerdings keine Frage unabhängiger Gutachten. Diese Frage wird voraussichtlich vom Europäischen Gerichtshof entschieden – einer weiteren EU-Institution, die jeglicher demokratischen Kontrolle entbehrt und die sich bereits des Öfteren durch sehr grenzwertige Auslegungen des Europäischen Rechts hervorgetan hat, wenn es der politischen Linie des Rates und der Kommission dienlich war.

Der anti-demokratische Charakter der EU-Krisenpolitik hat die Zustimmungswerte zur Europäischen Integration bereits vielerorts in den Keller sinken lassen. Auch die starken Ergebnisse rechtspopulistischer Parteien bei der EU-Wahl sind Folge der undemokratischen EU-Politik. Die Absage an die EBI ist jedoch eine neue Qualität. Hier werden sogar die bereits bestehenden, schwachen demokratischen Rechte auf EU-Ebene wieder einkassiert.

Damit stellt sich die Frage, ob diese EU überhaupt noch demokratisierbar ist, oder ob es nicht vielmehr darum gehen muss, die Demokratie gegen noch mehr EU-Integration zu verteidigen.

Der Autor

Steffen Stierle ist Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied der Projektgruppe Eurokrise des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Zusammen mit Ko-Autoren hat er unter anderem die Attac-Basistexte „Europa-Krise: Wege hinein und mögliche Wege hinaus“ sowie „Umverteilen: von oben nach unten. Verteilungsgerechtigkeit statt Kürzungsdiktat“ verfasst.

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