„Bessere Rechtsetzung“: eine gute Strategie, wenn sie im Interesse der Bürger ist

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Der 10. März ist Europäischer Verbrauchertag [Foto: dpa]

 Reine-Claude Mader ist Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses.

„Bessere Rechtsetzung“ – ein Programm und ein erklärtes Ziel, das man nur unterstützen kann. Denn es liegt im allgemeinen Interesse, dass Gesetze und Vorschriften effizient und praxisbezogen sind. Nun gibt dieses Programm Anlass zu zahlreichen Fragen und Diskussionen: über den tatsächlich verfolgten Zweck, die aufgewendeten Mittel, wobei sehr schnell die Entwicklung von Unternehmen als Hauptanliegen des Programms erscheint.

Unternehmen beklagen sich über das sogenannte „Goldplating“, unter dem sie eine Überregulierung verstehen, ein Übermaß an Vorschriften, wenn EU-Regelungen von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Sie sind der Ansicht, dass ihnen zusätzliche Kosten entstehen, und die Kommission ihrerseits sieht in diesen Zusätzen eine Verfälschung der europäischen Politikgestaltung.

Die Bedenken sind derartig groß, dass 50 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Gewerkschaften, Umweltschutzverbände und der Europäische Verbraucherverband BEUC, ein Beobachtungsnetz aufgebaut haben, um darauf zu achten, dass persönliche Interessen keinen Vorrang vor dem öffentlichen Interesse haben. Diese Organisationen verweisen auf mögliche Risiken für die Zukunft gesellschaftlicher Normen, der Lohn- und Umweltstandards, des Arbeitnehmerschutzes, der Regulierung der Finanzmärkte und der öffentlichen Gesundheit.

Der Verbraucherschutz ist für die 500 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher – also uns alle–eine wichtige und konkret fassbare Errungenschaft der Europäischen Union. Unverzichtbar für das Funktionieren des Binnenmarkts ist er in den Verträgen verankert. Er ist das Ergebnis ständiger Bemühungen, Schiedsverfahren und immer neuer Anpassungsschritte, um in einer Welt in tiefgreifendem Wandel eine Ausgewogenheit zwischen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger und denen der Unternehmen sicherzustellen.

Auch wenn der Wunsch der Kommission nachvollziehbar ist, dass Verwaltungsaufwand dort, wo er das reibungslose Funktionieren von Unternehmen behindert, verringert und eine zu starke Regulierung überall dort, wo es möglich ist, vermieden wird, muss doch das Gleichgewicht gewahrt bleiben.

Es würde sich nicht negativ auf das Programm „Bessere Rechtsetzung“ auswirken, wenn man im Blick behält, dass es nicht darum geht, weniger, sondern besseres Recht zu setzen, und sei es nur, um neuen Arten der Produktion, des Verbrauchs und der Nachfrage der Verbraucher, die sich einen sicheren Konsum wünschen, gerecht zu werden.

Zur Verwirklichung dieser Ziele hat die Kommission Folgenabschätzungen geplant, die entsprechend den festgelegten Leitlinien durchgeführt werden sollen. Dann ist aber noch darauf zu achten, auf welche Weise die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher Berücksichtigung finden werden; außerdem dürfen die wirtschaftlichen Interessen nicht unverhältnismäßig bevorzugt werden.

Immer mit dem Ziel vor Augen, die jeweilige Problematik besser zu verstehen und möglichst viele Standpunkte zusammenzutragen, sieht die Kommission öffentliche Konsultationen auch über das Internet vor. Auch wenn diese Konsultationen extrem leicht zugänglich sind, so darf doch nicht vergessen werden, dass sie tatsächlich nur von einem Kreis Eingeweihter – Lobbyisten – genutzt werden und dass das Spektrum der Teilnehmer nicht unbedingt repräsentativ für alle betroffenen Parteien ist, was durchaus Anlass zur Sorge gibt. Unstrittig ist dies ein Aspekt, den es bei der Auswertung der Antworten zu berücksichtigen gilt.

All diese Probleme sollten in den Diskussionen in der REFIT-Plattform erörtert werden. Dort kommen Vertreter der EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten, Fachleute aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie Experten der Sozialpartner zusammen, die die besagten Probleme aufgrund ihrer Erfahrung, aber auch im Lichte des allgemeinen Interesses untersuchen.

Die Mitglieder dieser Plattform sollen sich des Weiteren dazu äußern, inwieweit eine Überarbeitung der bestehenden Rechtsvorschriften auf der Grundlage des von der Kommission erstellten Fahrplans sinnvoll wäre. Auch hier gilt es, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Fortbestand von Rechtsvorschriften im Sinne der Rechtssicherheit und der Berechenbarkeit von Maßnahmen einerseits und andererseits den Anpassungen, die erforderlich sind, weil technische, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen stattgefunden haben, die teilweise dem Wandel des Verbraucherverhaltens geschuldet sind. Bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen und der Gründe für die vorgeschlagenen Änderungen sollte völlige Transparenz herrschen, damit sich jedermann vergewissern kann, dass die Interessen aller Betroffenen sehr wohl berücksichtigt wurden.

In den Gesprächen zwischen den zentralen Organen der Union (Parlament, Rat, Kommission) hat sich die einhellige Meinung herausgebildet, dass die Rechtsvorschriften in der Europäischen Union vereinfacht werden sollten.

Wie bereits gesagt, sollte dies aber nicht auf Kosten des Verbraucherschutzniveaus in den verschiedenen Ländern der Union geschehen. Die Bürgerinnen und Bürger hätten kein Verständnis dafür, wenn ihre Rechte allein im Interesse der Wirtschaft wieder in Frage gestellt würden. Die Bürgerorganisationen haben im Übrigen sehr deutlich gemacht, dass sie Maßnahmen ablehnen, die es den Mitgliedstaaten unmöglich machen, Initiativen beizubehalten oder zu ergreifen, die Verbraucherinnen und Verbraucher besser schützen. Es sollte nicht vergessen werden, dass aus diesen Initiativen rechtliche Fortschritte entspringen, deren Förderung die Aufgabe Europas ist.

Alle Beteiligten dieses Programms stehen erst am Anfang eines langen Weges. Sie erhalten 2016 im Rahmen des Europäischen Verbrauchertags, den der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss seit 18 Jahren durchführt, die Möglichkeit, sich zu dieser grundlegenden Frage zu äußern. Die Chancen stehen gut, dass sie die Überlegungen bereichern können und so ein Weg gefunden wird, der für alle akzeptabel ist.

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