Die Gleichstellung von Mann und Frau in der Politik ist selbst in Europa noch nicht Realität. Einer aktuellen Studie nach setzen Politikerinnen aus aller Welt nun vermehrt auf soziale Medien, um die Ungleichheiten zu überbrücken. EURACTIV Brüssel berichtet.
Die aktuellen Statistiken zum Frauenanteil in der Politik sind noch immer erschütternd: Weltweit sind nur etwa 22,8 Prozent aller nationalen Parlamentsmitglieder weiblich. In 38 Ländern wird die Bevölkerung noch immer zu 90 Prozent von Männern vertreten.
Auch in der selbsternannten Hochburg der Demokratie, in Europa, zeichnet sich kaum ein positiveres Bild. Im EU-Parlament sind nur 37 Prozent der Abgeordneten Frauen. Auch wenn ihr Anteil mit jeder EU-Wahl stetig zugenommen hat, beläuft sich der Anstieg seit 1999 auf lediglich sieben Prozent. Nur fünf der 28 EU-Mitgliedsstaaten entsenden mindestens 50 Prozent weibliche Europaabgeordnete. Somit stellt sich berechtigterweise die Frage, ob und inwiefern das Thema Gleichberechtigung innerhalb der EU tatsächlich angegangen wird.
Nach aktuellem Stand haben nur vier EU-Staaten eine Frau als Staatsoberhaupt. Angesichts der jüngsten politischen Unruhen in Litauen, dem drohenden Brexit und den deutschen Bundestagswahlen 2017, könnte die Zahl der führenden EU-Politikerinnen wieder stark zurückgehen. Die letzte Bastion wäre dann Beata Szydło aus Polen.
Auch Jean-Claude Junckers Kommissionskollegium ist nicht einmal ansatzweise ausgeglichen. Nur neun der 28 Kommissare sind weiblich.
Natürlich gibt es Erfolgsgeschichten wie die von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in Europa als einflussreichste politische Persönlichkeit gilt, oder die Hillary Clintons, die womöglich als erste Frau ins Weiße Haus gewählt wird. Dennoch werden selbst solche positiven Beispiele oft von Ungleichheiten überschattet. „Hillary ist der lebende Beweis dafür, dass man als Frau hart arbeiten, in seinem Bereich aufsteigen kann und dennoch mit einem weniger qualifizierten Mann um denselben Job konkurrieren muss“, heißt es in einem Twitter-Beitrag der Journalisten Erin Ruberry.
Hillary is proof a woman can work hard, rise to the top of her field & still have to compete against a less qualified man for the same job.
— Erin Ruberry (@erinruberry) October 10, 2016
Beim Auswahlprozess um die Nachfolge Ban Ki-moons als UN-Generalsekretär schien es bis zur letzten Abstimmungsrunde, als könnte eine Frau aus Osteuropa das Rennen machen. Abgesehen von Bulgariens Kandidatenfiasko standen die Zeichen für Irina Bokova beziehungsweise Kristalina Georgieva relativ gut. Die notorisch undurchsichtigen Abstimmungsverfahren der UN, die auch in diesem Jahr kaum verbessert wurden, schoben der Ernennung einer weiblichen Kandidatin jedoch letztendlich den Riegel vor. Anstelle einer Frau erhielt Ex-Premierminister António Guterres aus Portugal das Spitzenamt.
Soziale Medien gegen die Gender Gap
Es scheint jedoch ein Licht am Ende des Tunnels zu geben. Einer aktuellen Studie der Harvard University zufolge setzen Politikerinnen erfolgreich auf die sozialen Medien, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern und in der politischen Ellenbogengesellschaft zu bestehen. Durchgeführt wurden die Untersuchungen in Zusammenarbeit mit Women in Parliaments Global Forum (WIP), dem Shorenstein Center und Facebook. Gemeinsam analysierte man die Social-Media-Gewohnheiten von 900 weiblichen Abgeordneten aus 107 Ländern – 25 davon EU-Mitgliedsstaaten.
Wie die Ergebnisse zeigen, sind die Netzwerke durch ihren geringen Kostenaufwand und den Fokus auf die eigene Persönlichkeit für viele Politikerinnen das ideale Medium, um Einfluss zu nehmen und die Gender Gap zu überbrücken. 85 Prozent der weiblichen Gesetzgeber nutzen eine Online-Plattform, meist Facebook. Etwa 90 Prozent von ihnen versuchen, über ihren Account Wähler zu erreichen. Soziale Medien helfen Frauen, „erfolgreich in dem Job zu sein, für den sie gewählt wurden“, betont Katie Harbath von Facebook.
Politikerinnen machen vorrangig Gebrauch von sozialen Medien, wenn sie mit ihren Wählern, Unterstützern und Mitarbeitern kommunizieren wollen. Die im Rahmen der Studie befragten Teilnehmer waren meist unter 50 und Mitglieder der Opposition oder kleinerer Parteien. Man könnte daraus schlussfolgern, dass der Aufstieg weniger einflussreicher Fraktionen vom Erfolg oder Scheitern der sozialen Medien abhängt.
Der Nachteil von Müttern gegenüber Nicht-Müttern im Beruf oder anderen Lebensbereichen lässt sich laut Studie nicht in den sozialen Medien beobachten. Weibliche Abgeordnete mit Kindern oder Schwangere nutzen Facebook, Twitter, Instagram etc. nicht seltener als alle anderen.
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen vor allem den positiven Einfluss sozialer Medien auf die Gleichstellung von Männern und Frauen. Dennoch lässt sich anhand der Studie auch eine besorgniserregende Entwicklung ableiten: Die häufigsten User sind jene Frauen, die sich in ihrer Partei bereits als gleichberechtigt empfinden. Für die Netzwerke könnte sich somit eine schwierige Situation ergeben, in der sie gerade die Frauen nicht erreichen, die ihre gleichberechtigende Wirkung am ehesten gebrauchen könnten.
„Politikerinnen sind auch in Sachen Social Media nicht komplett gleichgestellt“, kritisiert Nicco Mele vom Shorenstein Center. Innerhalb der politischen Parteien müsse es einen Sinneswandel geben, damit Frauen die verfügbaren Instrumente besser ausschöpfen könnten.
Der Bericht liefert einen kurzen Ausblick und entsprechende Empfehlungen, die Frauen dabei helfen sollen, mithilfe sozialer Medien Ungerechtigkeiten zu überkommen. Es geht darum, Wähler zu erreichen, aktiver zu werden und persönliche Geschichten mit anderen zu teilen – Tipps die sich weitestgehend mit EURACTIVs Twitter-Guide decken.
Technologische Entwicklungen werden sich auch in Zukunft auf die Gesellschaft auswirken. Doch solange Hindernisse wie undurchschaubare Abstimmungsverfahren und latenter Sexismus bestehen bleiben, wird sich der positive Einfluss sozialer Medien auf die Gleichstellung von Mann und Frau verflüchtigen, noch ehe es zu einem politischen und gesellschaftlichen Wandel kommt.