Weltaidstag: Gefährliche Selbstzufriedenheit im Kampf gegen HIV

DISCLAIMER: All opinions in this column reflect the views of the author(s), not of EURACTIV Media network.

HIV-Schnelltest in Äthiopien. [UNICEF Ethiopia/Flickr]

Die Weltgemeinschaft will das HIV-Virus bis 2030 ausrotten. Doch ausgerechnet jetzt stagnieren die Geldmittel. Ein fataler Fehler, denn das Virus schläft nicht.

„Tina, wat kosten die Kondome?“, rief die Kassiererin vor 25 Jahren in dem berühmten HIV-Aufklärungsspot quer durch den Supermarkt und zeigte: Über HIV darf und muss man reden. Viel ist seitdem passiert – die Bekämpfung der Epidemie hat in den vergangenen Jahren einiges an Aufmerksamkeit erhalten. Prominente trugen die populäre rote Schleife als Zeichen der Solidarität, und mit Slogans wie „Mach’s mit!“ oder „Gib Aids keine Chance“ wurde man an Bushaltestellen und U-Bahnhöfen monatelang für das Thema „Safe Sex“ sensibilisiert – so zumindest in Deutschland und anderen westlichen Industrieländern.

Doch Debatten in der Weltöffentlichkeit haben eine Halbwertszeit und ebben irgendwann ab, allgemeine Ermüdung macht sich breit. HIV, das ist für viele Menschen nicht mehr das unbesiegbare Monster, das es noch vor 25 Jahren war. Dabei wird oft übersehen, wie anders sich die Situation nach wie vor in wenig entwickelten Ländern darstellt. Die entwicklungspolitische Kampagnenorganisation ONE spricht deshalb von einer „gefährlichen Selbstzufriedenheit“ im Kampf gegen die Krankheit. Gefährlich deswegen, weil der Wendepunkt immer noch nicht erreicht ist. Dies bedeutet, dass die Anzahl der Neuerkrankungen mit zwei Millionen im vergangenen Jahr immer noch höher liegt als die Zahl der Menschen, die im gleichen Jahr zusätzlich in Behandlungsprogramme mit lebensrettenden Aids-Medikamenten aufgenommen wurden.

Im September erst kamen die Staats- und Regierungschefs der Welt in New York zusammen, um die 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) zu verabschieden. Eines der Zeile: Bis 2030 soll Aids als Epidemie ausgerottet. Beeindruckende Versprechen, die Zahlen dahinter sind noch beeindruckender: Dies würde bedeuten, 28 Millionen Neuinfektionen und 21 Millionen aidsbezogene Todesfälle zu verhindern. Dazu passt nicht, dass die Mittel zur Bekämpfung von HIV/Aids in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen momentan bei 15,2 Milliarden Euro stagnieren. Und auch die Zahl wohltätiger Spenden liegt auf einem traurigen Tiefstand – möglicherweise ist auch dies einer allmählichen Gewöhnung an das Thema „Aids“ geschuldet.

Allerdings: Das Virus schläft in der Zwischenzeit leider nicht. Blieben die Mittel auf ihrem aktuellen Stand, könnten alle bisher erzielten Erfolge zunichte gemacht werden und HIV wieder stärker wüten. Eine Erhöhung der Mittel auf die von UNAIDS als notwendig erachteten 28,1 Milliarden Euro wäre nicht nur in moralischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht folgerichtig. Die Kosten der Bekämpfung wären um ein Vielfaches höher, wenn nicht rechtzeitig gehandelt wird.

Hochkompliziert wird es dort, wo kulturelle Aspekte, wirtschaftliche Abhängigkeiten und fehlende sexuelle Selbstbestimmung der Bekämpfung des Virus stärker im Weg stehen als die mangelhafte Versorgung mit Kondomen. Wo setzt man an, wenn Frauen eine Kondombenutzung bei ihrem promiskuitivem Partner nicht durchsetzen können? Wie reagieren wir als Weltgemeinschaft, wenn Mädchen im jungen Alter an deutlich ältere Männer verheiratet werden und durch die noch nicht vollständige Reifung ihres Körpers anfälliger für Verletzungen beim Sex und damit HIV-Infektionen sind? Mädchen und junge Frauen in Subsahara-Afrika haben ein dreimal höheres Risiko als ihre männlichen Altersgenossen, an HIV zu erkranken. Kondome für die Frau oder Mikrobizid-Präparate sind oftmals der einzige Weg für etwas mehr weibliche Selbstbestimmung. Die Investition in diese Mittel sollte verstärkt werden. Mehr Daten, aufgeschlüsselt nach bestimmten Risikofaktoren, könnten helfen, die Bekämpfung von HIV konzentrierter und effizienter anzugehen.

Genauso wie bei allen anderen Entwicklungszielen gilt auch hier: Wer die Chance vergibt, sich in diesem historischen Entwicklungsjahr 2015 nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten zu der Bekämpfung von HIV/Aids zu bekennen, macht damit schon heute das große Ziel von 2030 zunichte. Die Weltgemeinschaft muss handeln.    

Die Autorin

Lisa Opolka ist Jugendbotschafterin der Kampagnenorganisation ONE. ONEs aktuellen Aids-Bericht „Eine offene Rechnung“ gibt es zum Download unter www.one.org/aids.

EURACTIV.de: Zahl der HIV-Infektionen in Europa auf Rekordhoch (26. November 2015)

Subscribe to our newsletters

Subscribe