Ohne die Atomkatastrophe in Japan hätte es die Energiewende in Deutschland sicher nicht gegeben. Auch wenn Japan inzwischen Atomreaktoren wieder hochfährt: Fukushima sollte uns ein Mahnmal sein, warnt Christian von Hirschhausen vom DIW.
Prof. Dr. Christian von Hirschhausen ist Forschungsdirektor Internationale Infrastrukturpolitik und Industrieökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Energie, Verkehr, Umwelt, Unternehmen und Märkte.
Erinnern Sie sich an den Herbst 2010, als das Stadtzentrum von Berlin mit Werbeplakaten gepflastert war, auf dem ein oder zwei Windräder adrett neben einem Atomkraftwerk drapiert waren? „Atomkraft als Partner der Erneuerbaren“ war darauf zu lesen. Etwa zur selben Zeit setzte der frühere Fußball-Nationalspieler Oliver Bierhoff – damals vor allem als Torschütze bei Europameisterschaften bekannt – seine Unterschrift unter den „Energiepolitischen Appell“ der konventionellen Energiewirtschaft, der postulierte, ohne Atomkraft (und Kohlestrom) wäre die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdet …
Ohne die Atomkatastrophe in Japan vom 11. März 2011 hätte es die Energiewende in Deutschland ganz sicher nicht gegeben. Vielmehr wären die Erneuerbaren „in aller Ruhe“ in den fossil-atomaren Energiemix der vier großen Energie- versorger eingemeindet und schrittweise als „CO2-freier Energieträger“ akzeptiert worden. Vor allem aber wäre die Laufzeitverlängerung genutzt worden, um – in aller Ruhe – die Markteinführung der dritten Generation von Atomkraftwerkstechnik in Nachbarländern zu beobachten, um sich dann spätestens bei der vierten Generation (kleine modulare Reaktoren oder auch schnelle Brüter) die Option auf den Neubau auch in Deutschland offen zu halten. Frei nach dem Motto: Atomkraft ist ja so kostengünstig!
Genau diese Entwicklung ist derzeit in Japan zu beobachten – und zwar unter vollständiger Vernachlässigung der Gefahren in dem Erdbebengebiet. Schrittweise werden Atomreaktoren, die im März 2011 abgeschaltet worden waren, wieder hochgefahren, derzeit sind es vier (von 44 verfügbaren). Ministerpräsident Shinzo Abe hatte versprochen, innerhalb eines Jahrzehnts alle Probleme gelöst zu haben, und dem Land wurden damit die olympischen Sommerspiele 2020 zugesprochen. Selbst Neubauten von Atomkraftwer-ken sind wieder in der politischen Diskussion.
Dass Atomkraft mit ökonomischer Rationalität nichts zu tun hat, ist seit den 1950er Jahren bekannt, unter anderem dokumentiert durch die Rede von US-Präsident Dwight D. Eisenhower vor den Vereinten Nationen („Atoms for Peace“, 1953), indem er Nicht-Atom-Ländern Subventionen bei der Markteinführung schmackhaft machen wollte, um im Gegenzug die Kontrolle über die radioaktiven Abfallstoffe zu behalten.
Auch zwei jüngere ökonomische Analysen belegen (mal wieder) die empirische Evidenz, dass kein Atomkraftwerk jemals unter wettbewerblichen Bedingungen gebaut wurde: So beschreibt François Lévêque aus Paris in seinem Buch „The economics and uncertainties of nuclear power“ die Atomkraft als „Tochter von Wissenschaft und Krieg“ und spielt damit auf die bis heute wesentlichen Treiber der Atomkraft an.
Lucas Davis von der University of California beschreibt in seinem Aufsatz „Prospects for Nuclear Power“ die seit nunmehr sieben Jahrzehnten erfolglosen Versuche der Atomwirtschaft, die Wettbewerbsfähigkeit dieser Technologie nachzuweisen.
In dieser Woche sollte jedoch nicht die wissenschaftliche Diskussion im Mittelpunkt stehen, sondern es ergibt sich die Gelegenheit innezuhalten und des 11. März 2011 und seiner Opfer zu gedenken – der Dramatik, die mit dem Ausfall der Notstromversorgung im AKW Fukushima Daichi um 15:36 Uhr (MEZ) einsetzte, der erfolglosen Rettungsversuche, der in der Nacht erfolgten Kernschmelze sowie der in Echtzeit zu verfolgenden Explosionen in den Reaktorgebäuden 1 bis 4 in der Folgezeit.
Nicht zu vergessen die bis heute ungelösten Probleme wie Millionen Kubikmeter verstrahlter Erde oder die täglich Millionen Liter radioaktiv verstrahlten Wassereinflusses. Ein Großteil der Bevölkerung im engeren Umkreis des Kraftwerks lebt noch immer in Notbehausungen, bei vielen Menschen, insbesondere bei Kindern, bahnen sich Folgekrankheiten wie zum Beispiel Leukämie an; ein Ende des gesundheitlichen und gesellschaftlichen Leidens vor Ort ist nicht abzusehen. Fukushima sollte uns ein Mahnmal sein.