Schweiz: „Nicht gleich mit Bleihammer auf den Tisch schlagen“

Doris Leuthard, Schweizer Bundespräsidentin, fand in Berlin eine weniger rauhe Atmosphäre vor als noch zu Zeiten Finanzminister Peer Steinbrücks (Foto: Bundesrat)

Die Volksabstimmung gegen „Masseneinwanderung“ bestimmt das neue Verhältnis der Schweiz zur EU und zu Deutschland neu. In Berlin stößt die Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard eher auf Verständnis, doch für Brüsseler Verknüpfungen mit anderen Themen hat sie keines. In den nächsten drei Jahren werde sich nämlich gar nichts ändern.

Zur Person

Bundesrätin Doris Leuthard (49) von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) der Schweiz ist Vorsteherin des Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und. Kommunikation (UVEK). Sie besuchte vor kurzem in Berlin ihre deutschen Amtskollegen Sigmar Gabriel (SPD) und Alexander Dobrindt (CSU) und stand anschließend Schweizer Journalisten und EURACTIV.de Rede und Antwort.

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Die Volksabstimmung vom 9. Februar 2014, in der die Eidgenossen mehrheitlich gegen "Masseneinwanderung" votiert haben, prägt und belastet das Verhältnis der Schweiz zur EU und zu Deutschland. Das Resultat werde zwar allgemein akzeptiert, sagte Leuthard nach ihren Berliner Gesprächen, "aber die Umsetzung wird hart, schwierig und nicht ohne Konsequenzen bleiben".

Auf die Frage von EURACTIV.de, ob in der Schweizer Volksabstimmmung schon der Vorboten für die Europawahl zu sehen sei, durch den sich Populisten und Extremisten ermuntert fühlten, meinte Leuthard: "Viele europäischen Staaten verkennen den hohen Ausländeranteil in der Schweiz. Mit einem Anteil der ausländischen Erwerbstätigen von 25 Prozent – gegenüber 9,5 Prozent in Deutschland oder 6,4 Prozent im EU-Durchschnitt – besteht eine Ausgangslage, die eben Diskussionen in der Gesellschaft verursachen kann." 

"Wir sind da in einer anderen Welt", sagte Leuthard. "Wir haben eine intensive Beteiligung der Bürger, was viele EU Staaten nicht kennen, schon gar nicht auf transnationalem Niveau."

"Die nächsten drei Jahre passiert gar nichts"

"Die nächsten drei Jahre passiert de facto gar nichts", sagte Leuthard. "Die Zuwanderung bleibt so, wie sie ist." Auch im Moment gebe es keine direkten Auswirkungen. "Man soll zuwarten und nicht sofort mit dem Bleihammer auf den Tisch schlagen."

Deshalb stelle sich die Frage, weshalb Brüssel einen Link zu Dossiers wie dem Forschungsprogramm Horizon 2020, dem Studienaustauschprogramm Erasmus oder den Stromverhandlungen herstelle. Leuthard bezieht sich damit auf erste Reaktionen von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, wonach diese Abkommen suspendiert werden würden.

"Eine solche Abstimmung hat viele Emotionen zur Folge. Ich verstehe die Haltung von Barroso, der ja die Werte der EU verteidigen muss, und die Personenfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten, die nicht verhandelbar sind. Da muss er klar Position beziehen. Aus seiner Optik ist das konsequent. Aber wenn er ein anderes Konzept will, hat das Konsequenzen im ganzen Verhältnis mit der EU." 

Kein Verständnis für Verknüpfungen mit anderen Fragen

Wofür die Schweiz allerdings kein Verständnis hat, sind Verknüpfungen: Als die Schweiz selbst früher Verknüpfungen versucht habe, etwa das Steuerthema mit anderen Fragen, habe die EU solche Links immer abgelehnt und darauf bestanden, jedes Problem für sich zu lösen. "Daher ist es für uns etwas befremdend, dass man wieder versucht, Verbindungen herzustellen mit Dossiers, die in sich nichts miteinander zu tun haben."

Es liege jetzt am (Schweizer) Bundesrat zu überzeugen, dass sich trotz dieses Verfassungsartikels noch nichts ändere. "Vielleicht kann das in Brüssel noch besser erklärt werden." Brüssel müsse einsehen, dass es sich mit voreiligen Reaktionen auf eine Situation, die sich de facto noch gar nicht verändert habe, noch Zeit lassen solle. Die Schweiz müsse erst präsentieren können, wie sie das umsetzen möchte und wie sie ihr Verhältnis mit der EU klären will. Die Schweiz habe jedenfalls drei Jahre mit der Umsetzung Zeit.

Beim Thema Verknüpfungen könne die Schweiz, so Leuthard nach ihren Gesprächen in Berlin, "aufs Wohlwollen der deutschen Regierung zählen, die es ebenfalls für unangebracht halte, mit Maßnahmen zu wirken, die nicht direkt in einem Zusammenhang stehen. Das schätzen wir sehr an der deutschen Haltung".

Kein neuer Termin für Fortsetzung der Strom-Verhandlungen

So habe Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel versichert, er werde sich dafür einsetzen, dass die Verhandlungen zum Stromabkommen weitergehen. Nach der Volksabstimmung hatte die EU-Kommission diese Gespräche gestoppt und eine Verhandlungsrunde abgesagt.

Diese Bereitschaft Gabriels sei sehr wichtig, weil nicht nur Deutschland gerade im Stromhandel ein sehr wichtiger Partner für die Schweiz sei, sondern auch umgekehrt die Schweiz mit ihren Kapazitäten für die Stabilisierung der Versorgungslage Süddeutschlands wichtig sei. Nun werde die Schweiz versuchen, mit der Unterstützung Deutschlands die Wiederaufnahme der Stromverhandlungen in Brüssel zu erwirken. Wann die Verhandlungen weitergehen, wisse die Schweiz aber nicht. Das sei Sache von Brüssel.

Das Verfahren aus Brüssel, das Deutschland wegen der Großverbraucherentlastung von hohen Stromkosten anhängig habe, schlage Wellen. Nicht nur Vizekanzler Gabriel müsse das Problem lösen, dass gerade Großverbrauchern eine akzeptable Situation geboten werde, damit sie im Lande bleiben. Auch die Schweiz habe eine ähhnliche Situation: Mit 1. Januar habe man den Netzzuschlag erhöht, um mehr in Erneuerbare investieren zu können. Das Korrelat dazu sehe eine Befreiung der Großverbraucher von diesem Aufschlag vor.

Entlastung der Strom-Großverbraucher: Schweiz als Modell für Deutschland 

"Ich hab den Minister über unser System informiert, denn das wäre etwas, was sich auch in Deutschland überlegen kann. Unser System ist nämlich Brüssel-tauglich." Demnach schließen die Großverbraucher mit der Regierung eine Zielvereinbarung ab, in der Regel über zehn Jahre, wonach sie sich verpflichten, die zurückgehaltenen Gelder von den Netzentgelten in Effizienz zu investieren. Die Rückerstattung mache zwanzig Prozent aus und müsse in Effizienmaßnahmen fließen. "Somit ist das nicht einfach per se eine Subvention oder eine möglicherweise unerlaubte Beihilfe, sondern eine Gegenleistung, die damit finanziert wird. Vielleicht kann das Deutschland dabei helfen, in den Verhandlungen mit Brüssel ein akzeptables Modell zu entwickeln. 

Andere bilaterale Themen, die seit langer Zeit ungelöst sind und in der Schweiz auf immer mehr Ungeduld und Unverständnis stoßen, sind die Rheintalbahn und der Flughafen Zürich. Hier erhöht sich der Druck auf Deutschland deutlich.

Rheintalbahn: Deutschland massiv im Verzug

Zur Rheintalbahn sieht ein Abkommen vor, dass die Zulaufstrecke mindestens 2020 bereitstehen müsste. Hier ist Deutschland massiv im Verzug. Die Bundesrätin merkte an, dass sogar Italien mit der Zufahrtslinie nach Mailand die Fristen einhalten werde. Der Druck auf Deutschland kommt nicht nur von der Schweiz, sondern zunehmend auch von Belgien und den Niederlanden.

"Wir stehen Gewehr bei Fuß und werden Deutschland immer wieder daran erinnern, dass wir eine vertragliche Basis haben", kündigte Leuthard an.

Flughafen Zürich: Nachverhandlungen ausgeschlossen

Ähnlich beim Flughafen Zürich, der schon einmal zur Chefsache auf Regierungschefebene erklärt worden war und trotzdem stockt. Nun muss sich der neue Verkehrsminister Alexander Dobrindt "erst einlesen und eine Meinung bilden". "Er kann das aber nicht auf die lange Bank schieben, sondern muss das in den nächsten Monaten umsetzen."

Es gebe in Deutschland offenbar noch großen Widerstand gegen den Staatsvertrag und das Gefühl, der Vertrag beinhalte gezinkte Werte. Immer noch strittige Punkte wie Flughöhe, Flugrouten oder Abstand zur Grenze könnten als Annex zum Vertrag aufgenommen werden. "Aber eines ist klar und haben wir bekräftigt: Mit uns gibt es sicher keine Nachverhandlungen", betonte Leuthard. 

Nachverhandlungen seien "nicht möglich, wir haben einen von beiden Seiten unterzeichneten Vertrag". Die Schweiz habe ihn bereits ratifiziert. Deutschland müsse in den nächsten Monaten die Klärung vorantreiben und sich entscheiden, ob es das Ratifikationsverfahren einleitet.

Ausländer-Maut: Dann sollen Deutsche auch mehr zahlen

Auch das bayrische Thema Pkw-Maut für Ausländer beschäftigt die Schweiz: "Wir sind gespannt, wie Deutschland das EU-kompatibel hinkriegt. Für die Schweiz ist das natürlich auch interessant. Die Vignette würde ich für Deutsche und ausländische Fahrer natürlich auch erhöhen. Unsere Straßenkasse ist auch notleidend." Und: "Deutschland soll mal testen, ob das im EU-Recht funktioniert. Wir warten das ab."


Ewald König

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